Rechtschreibung fördern

  bei LRS / Legasthenie

Lesen und Rechtschreiben


Wie hängen Lesen und Rechtschreiben zusammen? 

Der Zusammenhang zwischen dem Lesen und Rechtschreiben scheint eindeutig zu sein.  

 

Es ist aber nicht unbedingt so, dass man Kinder nur zum Lesen anhalten muss, damit sich ihre Rechtschreibung verbessert. Nehmen wir an, ein Kind macht beim Schreiben besonders viele Fehler in den Bereichen, die mit der Vokallänge zu tun haben (es schreibt "renen" für "rennen", "brante" für "brannte", "kammen" für "kamen", "niemt" für "nimmt“ oder "den“ für "denn“).  

 

Das Kind weiß nicht, woran es erkennen soll, wie das Wort "den" im Unterschied zum Wort "denn“ klingt. Ich würde erwarten, dass sich dieses Rechtschreibproblem auch auf die Lesefähigkeit auswirkt.  

 

Und tatsächlich habe ich bei vielen Schülern beobachtet, dass sie den Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern beim Lesen nur erraten. In etwa der Hälfte der Fälle treffen sie die korrekte Aussprache, in den anderen Fällen verbessern sie sich, sobald der Satzzusammenhang klar ist.


Kombinierte Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten

Viele Aspekte der Orthographie und der Wortbildung sind Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten nicht klar. Die Schreibung – und daher auch die Aussprache – vieler Wörter kommen ihnen willkürlich und chaotisch vor. Das ist beim Lesen nicht anders als beim Schreiben. Sie gehen davon aus, dass man Worte anhand weniger Kriterien, einiger Buchstaben oder dem Gesamtbild mehr oder weniger "erraten“ oder assoziieren muss - oder sie aber mühsam von vorne bis hinten "buchstabieren" muss.  

 

Beim Lesen unbekannter oder seltener Wörter gehen die Kinder beispielsweise so vor:

S-t-ooooo p-p eeee-l - f-eee ld

 

Es ist ihnen nicht klar, dass das Doppel-p ein Zeichen ist, welches ihnen einen Schlüssel zur korrekten Aussprache des o-Lautes (nämlich hier mit offenem Mund und kurz) gibt. Umgekehrt schreiben die Kinder dann auch "Sone" (statt "Sonne") usw., weil sie nicht wissen, dass "Sone" mit einem "n" so klingt wie das Wort "Sohne".  

 

Darum kann den Kindern das Lesen auch nicht dabei helfen, die Rechtschreibprobleme zu überwinden.  

 

Grafik schreibendes Kind

Durch intensives Lauttraining erhalten die Kinder einen Einblick in die Struktur der Rechtschreibung. Dadurch stellt sich eine – natürlich allmähliche – Verbesserung auch der Lesekompetenz ein.


 

Weitere typische Lesefehler

Besonders viele Fehler machen die Kinder auch beim Lesen von Wortendungen. Es ist, als würden sie die Worte nur "anlesen", den Rest des Wortes dann anhand des Sinnzusammenhanges dazu kombinieren. Das führt zu vielen Lesefehlern. Ein Lesefehler zieht oft weitere nach sich, weil die Grammatik intuitiv angepasst wird.

 

Wortbausteine erkennen 

Viele Kinder haben beim Lesen und beim Schreiben außerdem Probleme mit der Wortbildung. Manche Worte entstehen durch das Voranstellen von Bausteinen (nicht alle davon sind streng genommen Vorsilben) und/oder Endungen, andere werden aus zwei oder mehreren Wörtern zusammengesetzt. Auf jeden Fall bilden die entstandenen Wörter eine neue Einheit. Das erkennen die Kinder häufig nicht (sie schreiben zum Beispiel "über Haupt" für "überhaupt" oder "hin weis" für "Hinweis"). Besonders bei den vorangestellten Bausteinen merkt man, dass vielen Kindern mit Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung die Bedeutung und der Nutzen dieser kleinen Bausteine nicht klar ist. Sie schreiben "instet" für "entsteht" oder assoziieren den "ver"-Baustein mit dem Wortstamm "fähr" oder dem Fremdwort "fair".    

 

Ich habe immer wieder beobachtet, dass Kinder, die in diesem Bereich Schreibschwierigkeiten haben, auch beim Lesen langer Wörter zögern, sie oft nur stockend oder mit falschen "Bausteinen" wiedergeben.

 

Ein Beispiel für den Zusammenhang von Lesen und Rechtschreiben:

Ein Schüler liest eine Geschichte laut vor, in der das Wort "Enttäuschung" vorkommt. Er stockt kurz, liest dann: "Entt---  äusche…??", sieht fragend hoch vom Text, wiederholt noch einmal "ent----äu", während er dabei nicht auf den Text blickt, hat dann über den Klang eine Assoziation und sagt: "Ach so, enttäuschen!" Dann liest er weiter, bis er anhand des Sinnzusammenhanges merkt, dass das zu lesende Wort "Enttäuschung" heißen muss und korrigiert sich noch einmal. Dass sich in den Texten dieses Schülers Fehlschreibungen wie "indeckt" für "entdeckt" oder "feraten" für "verraten" finden, verweist ebenfalls auf die fehlende Kenntnis der Bausteine unserer Sprache. 

 

Und eine Vermutung über Ursache und Wirkung:

Mir liegen Sprachbeispiele eines Jungen vor, der im Alter von etwa zweieinhalb Jahren aus Wortbausteinen Wörter gebildet hat, die es zwar so im Deutschen nicht gibt - aber durchaus geben könnte - und die zeigen, dass sein Gehirn die Wortbildungsregeln aus Bausteinen (Vorsilben und Partikeln sowie Wortstamm und Endung) bereits erfasst hat:

2 Jahre, 5 Monate: Anfassung (für Griff)

2 Jahre, 7 Monate: Festmachung (für Gurt im Auto)

2 Jahre, 6 Monate: Ich bin verhustet (abgeleitet vermutlich von "verschnupft").

 

Viele Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten haben aber noch im Schulalter Schwierigkeiten damit, die wichtigsten Bausteine zu erkennen und kreativ damit umzugehen. Das oben aufgeführte Lesebeispiel verdeutlicht, dass sich die Schwierigkeit mit dem Erkennen und kreativen Anwenden der Wortbausteine auch auf das Lesen auswirkt.  

 

Dass diese Kinder andere Blicksprünge beim Lesen haben, wenn ihnen einzelne Bausteine wie die Endung "ung" oder die Vorsilben "ent" oder "ver" begegnen, kann nicht verwundern - weil sie sie gar nicht als solche (nämlich als Bausteine) erkennen.

  

Isolierte Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten

Den Zusammenhang zwischen Lese- und Rechtschreibproblemen beobachte ich durchaus nicht bei allen Schülern. Einige haben gravierende Leseprobleme, obwohl ihre Rechtschreibfähigkeit im Normbereich liegt. Umgekehrt gibt es Kinder, die flüssig und verstehend lesen können, aber Rechtschreibprobleme haben.


Isolierte Lesestörungen und isolierte Rechtschreibstörungen treten statistisch betrachtet sogar häufig auf. In einem der beiden Bereiche sind die Kinder dann unauffällig. 


Es lohnt sich, bei jedem einzelnen Kind ganz genau hinzuschauen. Vielleicht wurde nur im Lesetest eine Störung diagnostiziert, im Rechtschreibtest hat das Kind ganz nah an der Schwelle zur Störung gelegen. Es macht also viel mehr Rechtschreibfehler als seine Altersgenossen, auch wenn keine Rechtschreibstörung attestiert ist. Dann kommt es mit einer isolierten Lesestörung zur Förderung, hat aber auch in der Rechtschreibung Defizite. In einem solchen Fall können sich intensives Lauttraining und Arbeit mit den Wortbausteinen auch wieder auf beide Bereiche positiv auswirken.